Genussvolles Süd-Mähren

Eine Reise mit dem kleinen, feinen Regensburger Reisebüro Begegnung mit Böhmen ist immer etwas Besonderes. Sagt Joachim. Der Anfang Achtzigjährige muss es wissen, denn Genussvoll reisen – mit Slow Food durch Südmähren ist bereits seine 55. Tour mit dem 1991 von Erwin Aschenbrenner gegründeten Unternehmen, das sich sanfte touristische Kultur- und Naturerlebnisse von Böhmen bis Masuren auf die Fahnen geschrieben hat! Das Konzept, interessierten Mitreisenden in Kleingruppen Land und Leute  näherzubringen, funktioniert nur mithilfe engagierter, einheimischer Kultur- und Naturkundiger, die nicht die Hauptsehenswürdigkeiten einer Region im Laufschritt durchmessen, sondern auch auf unscheinbare Kleinode am Straßenrand hinweisen, Kontakte mit Menschen herstellen, die auf ihre Weise die Gegend repräsentieren. Und denen man sich langsam, oft zu Fuß, per Rad oder Kanu, oder im Winter langlaufend annähert. Und immer wieder mit kurzer Rast, bei denen ein kleiner Text oder ein Gedicht rezitiert wird – oder ein Glas mährischer Wein degustiert wird. Ohne Eile, slow eben.

Da lag es nahe, dass unser Regensburger Nachbarconvivium hellhörig wurde und zusammen mit dem Evangelischen Bildungswerk die Idee eines kulinarisch-literarisch-naturkundlichen Wanderausflugs rund um Brünn ausarbeitete. Praktischerweise hat Carsten Lenk, ein ausgewiesener Tschechien-Kenner und czech native speaker, Leitungsfunktion in Bildungswerk und Convivium – er stellte zudem den Kontakt zu Tom Václavík vom CV Brno her.

Die mährische Hauptstadt Brno, nur gut 50 km nördlich von Wien gelegen, ist nicht nur selbst eine Reise wert, sondern auch umgeben von Landschaften, die zur Langsamkeit einladen. Der Schöpfer dieses weltberühmten Romans, Milan Kundera, ist ebenso Mähre wie Marie von Ebner-Eschenbach, Sigmund Freud oder Rabbi Löw, der lange in Mikulov (Nikolsburg) wirkte. Auch Peter Härtling. Und natürlich Jan Skácel, der Staatsdichter schlechthin:

die häuser am holunder tun mir leid
all ihre Wunden möchtest du verbinden
nacht ist’s in den höfen duften die linden
wie eine ratte nagt am putz die zeit

Mit solch wundervollen kleinen Gedicht-Perlen begleitet er die 17-köpfige Gruppe. Deklamiert werden sie von den beiden sympathischen, engagierten und bis ins Detail vorbereiteten Reiseleiterinnen Blanka Návratová, eine Brünnerin, und Katka Karl-Brejchová aus Westböhmen.

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Sie hatten schon im Vorfeld umfangreiche Erkundigungen eingeholt und sich ein buntes Programm überlegt, das selbst einige Pauschalreisen-Skeptiker wie den Autor schon nach kurzem überzeugte. Der Clou: Bereits im Voraus bekamen die Reisenden neben einem Leseheft zu Tschechien ein speziell für die Wandertour zusammengestelltes Lese- und Genussbüchlein (Vom Essen und Trinken in Mähren) zugesandt, das Vorfreude erzeugte.

Südlich von Brünn, inmitten von Weinbergen und bewaldeten Hügeln, waren zunächst die Ovci terasy (Schafsterrassen), ein Bio-Bauernhof mit Pensionszimmern und vorzüglicher Küche (häufig aus eigenen Produkten: Wein, Lamm, Huhn, Schafskäse, Eier) Ausgangspunkt für die Wanderungen der nächsten Tage. Bei schönstem Sommerwetter ging es los.

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Die erste Wanderung führte über Weinberge und Marillenhaine der Blauen Berge (aufs  Inspirierendste bei einer Pause unterbrochen durch eine erste Lesung) ins benachbarte Bořetice, wo wir einen Autentista besuchten, den jungen Weinbauern Ota Ševčík, der das Risiko eingeht, die Vinifikation nur mittels Spontanvergärung durch die vorher auf den Trauben angeflogenen Naturhefen (ohne Verwendung von Reinzuchthefen) auf den Weg zu bringen. Das Ergebnis konnte sich jedoch mehr als schmecken lassen. Sowohl sein St. Laurent als auch der Pinot Noir waren von erstaunlich kräftigem Körper und feinem, mit jedem Jahrgang nuanciert unterschiedlichem Geschmack.

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Danach ging´s weiter über Feld und Flur zu einem hunderte Jahre altem Naturdenkmal, einem der drei Arche-Passagiere Mährens: Der Speierling (oskeruše) ist für die Region typisch, aber dennoch im Überleben bedroht. Seine griacherlartig gelben, mehligen Früchte waren bei unserem Besuch vollreif und durchaus essbar. Feiner schmeckte jedoch, was der junge konventionell arbeitende Winzer Jan Stávek als Nebenprodukt seines eigentlichen Metiers uns kosten ließ – die Speierlingsfrüchte in gebrannter Form.

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Der dynamische Weinbauer hat den Familienbetrieb komplett modernisiert und zu einem, wie er es nennt, Gravitations-Weingut umgebaut. Wegen der steilen Weinberge direkt überm Hof gestaltete er die Produktionsstätte in energiesparender Weise so um, dass nun Trauben-Pressung und Einmaischen ebenerdig erfolgen und der junge Wein dann zur weiteren Reifung (quasi der Schwerkraft folgend) in die Edelstahltanks  im Keller fließen kann – und nicht wie früher nach Anlieferung der Trauben im tieferliegenden Weinguts-Innenhof von unten wieder alles nach oben in Fässer gepumpt werden muss.

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Am nächsten Tag stand ein Besuch des alten Mikulice mit seiner Wallfahrtskirche hoch über der Stadt auf dem Programm.

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Bevor ein Anstieg über mehrere hundert Höhenmeter in den Pollauer Bergen uns konditionell am stärksten forderte, waren wir in Klentnice noch in einem zum Hotel-Restaurant umgebauten historischen alten Pfarrhof zu Gast, wo wir im Café Fara moderne mährische Küche in sehr gastfreundlichem Ambiente serviert bekamen: u.a. Traubencreme-Suppe, Schweinebraten mit Dinkelknödeln und ausgezeichnet cremigem Weißkraut…

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Nach dem Überschreiten der Berge gelangten wir in nach Pavlov, wo uns bereits Svatja Řičánek, ein ehemaliger Schauspieler, Poet, Winzer, Lebenskünstler und Freund Jan Skácels, erwartete. Neben seinen zwei Weinsorten hatte er in seinem Keller von 1784, der von einem Franz Wimmer erbaut wurde und dessen Familienschicksal Svatja erforschte und literarisch verarbeitete, noch eine spezielle Überraschung für die Gruppe bereit. Er bat in den Keller, um zu zeigen, „woran es in der heutigen Zeit mangelt“. Wir standen im Kreis – er entfernte sich langsam ins Freie und schloss die Tür hinter sich. Dann erlosch die einzige Glühbirne… Wir standen und sahen – nicht mal einen Lichtstreif. Und hörten – keinen Laut. Als er nach gefühlten zehn Minuten – unter dem schwachen Licht einer Stirnlampe – den Keller wieder betrat, stellte er sich in den Kreis und löste das Geheimnis. Was uns fehlt: Tma. Und ticho. Dunkelheit und Stille.

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Danach – der Kontrast könnte größer nicht sein – aus der ländlichen Idylle in die Großstadt. Würde erst in Brünn das Licht von Svatjas Keller wieder angestellt – man würde sich in Wien wähnen…

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Das mondäne Hotel Continental mit Zigarren-Bar und prämiertem Foyer bietet ebenfalls einen Kontrapunkt zu den bisherigen Programmpunkten. Früher stand hier das Geburtshaus des ebenfalls weltberühmten Architekten (aber auch in einem Pädophilie-Prozess verurteilten) Adolf Loos.

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Die Innenstadt mit ihren K.u.K.-Elementen auf Schritt und Tritt, der beschauliche Samstagvormittag mit Wochenmarkt und Angeboten der Bauern und Erzeuger Südmährens.

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Und als Kontrapunkt die von Bauhaus-Meister Mies van der Rohe für den Textilfabrikanten erbaute Villa Tugendhat,    mit Blick auf die Stadt und lesungsgeeignetem Park:

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In einem bistrotähnlichen, funktionalistischem Lokal dann das Mittagessen, mit Karpfen und Kaninchen:

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Für den Nachmittag war ein Zusammentreffen mit dem Leiter des mährischen Slow Food – Conviviums Brno, Tom Václavík, geplant. Im Innenhof eines Cafés in der Altstadt (mit dem preisverdächtigen Schokoladen-Törtchen mit Meersalz-Kern) gab er uns einen kurzen Einblick in die aktuellen Herausforderungen der Bewegung in dieser Region:

Tom Václavík

Tom Václavík

T. Václavík, K. Karl, C. Lenk

T. Václavík, K. Karl, C. Lenk

Das südmährische Convivium habe um die 30 Mitglieder, aber nur wenig Aktive. Man befasse sich mit der Förderung der Direktvermarktung der farmers und deren Vernetzung mit jungen Köchen (die ähnlich dem französischen Bistrot-Prinzip sich von den Bauern mit frischen Produkten beliefern lassen und dann sich die dazu passenden Gerichte überlegten). Außerdem seien Schulprojekte sehr wichtig geworden, da vor allem junge Eltern Wert auf gute, saubere und fair erzeugte Produkte in der Ernährung Wert legten. In ganz Tschechien würden bereits 180 Schulen mit 45000 Kindern vom Kindergarten bis zu Mittelschulen erreicht. Slow Food sei aber immer noch zuwenig bekannt.

Der Weinbau sei kein Schwerpunkt der CV-Arbeit, da die Winzer ohnehin gut vernetzt seien. Früher sei Südmähren ein reines Weißwein-Gebiet gewesen, durch die Klimaveränderung verändere sich die Situation zugunsten roter Weine. Dies werde auch dadurch begünstigt, dass in der Gegend eine oft insgesamt stabilere meterologische Lage herrsche als anderswo in Europa. Ein Problem sei aber, dass als ein Erbe des Kommunismus der Bezug der Bauern zum Boden häufig verlorengegangen sei – denn früher hätten in der Tschechoslowakei (anders als in Slowenien, Ungarn und Polen) eher große LPGs denn kleinteilige Landwirtschaft vorgeherrscht. Zudem gehöre der Boden oft nicht den Bauern selbst – sie müsssten pachten und dächten nicht in größeren Zeiträumen, sondern orientierten sich eher an Subventionen.

Eine kleine Revolution in der Wahrnehmung der tschechischen Bevölkerung hinsichtlich der Ernährung habe sich in den letzten fünf Jahren abgespielt. Medien hatten herausgefunden, dass ihnen von großen deutschen und österreichischen Handelsketten, die das ganze Land mit Supermärkten überziehen, Produkte angedreht worden seien, die in Deutschland oder Österreich nie zu verkaufen gewesen wären aufgrund mangelnder Qualität. Seither sei die Sensibilität in der Bevölkerung – auch durch TV-Shows rund ums Essen – deutlich gewachsen. Ein Problem allerdings sei, dass sich viele z.B. Bio-Produkte einfach nicht leisten könnten. Obwohl Tschechien einen hohen Anteil an Bio-Bodenflächen habe (11%), liegen viele brach. Dennoch gebe es ca. 4500 Bio-Bauern. Einige traditionelle Sorten seien mangels Nachfrage vom Aussterben bedroht, weswegen man sie auf die Arche-Liste des guten Geschmacks von Slow Food gebracht habe, so den Speierling, die Rebsorte Neuburger und das Powidl.

Tom Václavík schloss mit der Hoffnung, dass in zehn Jahren jegliche landwirtschaftliche Produktion ökologisch sein möge (weil bis dahin auch ein Großteil des weltweiten Phosphats erschöpft sein könnte, das breit als Dünger genutzt werde) und dass für viele Tschechen die Qualitätskriterien größere Bedeutung haben mögen als heute.

Köstliches Schokoladen-Törtchen

Köstliches Schokoladen-Törtchen

Der weitere Stadtrundgang am Samstagnachmittag: Schon vor 18 Uhr schließen die Geschäfte- die Sehenswürdigkeiten wie das Janáček-Theater und das städtische Krokodil bleiben aber zugänglich!

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Ein schöner Ausklang dann am Abend im modern-noblen Restaurant Forhaus, wieder mit deutlichen k.-u.-k.-Anklängen:

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Der Joachim hat danach erklärt, er plant schon die nächste, seine 56. Reise mit Begegnung mit Böhmen. Im nächsten Jahr.

Und der Mitreisende vom CV Niederbayern zieht dieses Resümee (frei nach Qualtinger): Was soll i sagn, Travnicek? Wann mi des Reisebüro ned vermittelt hätt – dann waar ma gscheid wos abganga!

(gf)